Außerhalb der Pandemie kommt jedes Jahr Anfang Juni das „Who-is-who“ der europäischen Journalismus- und Medienbranche in Wien zum „European Publishing Congress“ zusammen. Anstatt wie geplant mondän im Schloss Schönbrunn zu tagen, fand die Veranstaltung in diesem Jahr am 16. Juni 2021 als eintägiger Online-Kongress statt. Welche Einblicke es auf der im Jahr 2003 vom Zeitungsdesigner Norbert Küpper gegründeten Veranstaltung in das zeitgenössische Zeitungsdesign gab, ist Thema dieses digitalen Ortsbesuches von Felix Koltermann.
Kern der digitalen Veranstaltung war die Verleihung verschiedener undotierter Preise, wie des European Magazine Award, des European Newspaper Award, des European Digital Publishing Award und des European Corporate Media Awardmit einer Vielzahl weiterer Unterkategorien. Das Programm des diesjährigen Kongresses bestand vor allem aus Vorträgen der Preisträger*innen aus den Wettbewerben in diesem und dem vergangenen Jahr, da der Kongress 2020 aufgrund der Pandemie ausfallen musste. Die Bedeutung der einzelnen Preise wie etwa des European Newspaper Award wird an der Anzahl der Einreichung deutlich. So nahmen in diesem Jahr 164 Zeitungen aus 25 Ländern am 22. European Newspaper Award teil. Im Folgenden wird auf vor allem auf die Vorträge im Programm eingegangen, die sich mit Zeitungs- und Editorial Design beschäftigen.
Die Auszeichnung European Newspaper of the Year in der Kategorie Wochenzeitung erhielt in diesem Jahr Die Zeit aus Deutschland. Worin das preisgekrönte Konzept der Wochenzeitung besteht, erläuterten die Leiterin der Bildredaktion Amélie Schneider und die Artdirektorin Haika Hinze. Sie machten vier zentrale Orientierungspunkte für das in den letzten Jahren entwickelte Designkonzept aus, das von einem Team aus über 20 Bildredakteur*innen, Layouter*innen und Artdirektor*innen umgesetzt wird: 1. Neues Wagen, 2. Orientierung geben, 3. Journalismus braucht Design sowie 4. Alles für den Leser. Konkret bedeutet dies, so die beiden Referent*innen, dass die ZEIT stärker auf „emotionale Aktualität“ statt „aktuelle ThemenS setzt, was sich 2020 an 25 unterschiedlichen, vor allem von Illustrationen geprägten Coverbildern zur Coronathematik zeigte. Darüber hinaus schilderten sie, wie wichtig es ist, für jede Geschichte eine eigene Form, Tonalität und Fluss zu finden. Die Bedeutung der Visualität innerhalb der Redaktion machten sie u. a. daran fest, dass Malin Schulz als Art-Direktorin Teil der Chefredaktion des Blattes ist.
Ebenfalls sehr ausführlich stellten der Chefredakteur der Fuldaer Zeitung Michael Tillmann sowie der Zeitungsdesigner Hans Peter Janisch das überarbeitete Konzept des hessischen Blattes vor, das beim 21. European Newspaper Award im vergangenen Jahr eine besondere Auszeichnung der Jury erhielt. Das Konzept zur Neugestaltung der Zeitung im Jahr 2019 lief unter dem Slogan „More than a redesign“ und hatte, so die beiden Redner, mehr Hintergrund, mehr Meinung und mehr Wert zum Ziel. Dafür gibt es im ersten Buch der Zeitung die Möglichkeit, bis zu acht Themenseiten unterzubringen. Die News, sowohl aus den Bereichen international, national als auch aus Hessen, sind dagegen auf einer einzelnen Seite komprimiert. Über allem schwebt das neue Motto KIA, eine Abkürzung für Kalenderthemen, Initiativthemen und Aktualitätsthemen.
Der Gründer und Mastermind des Kongresses Norbert Küpper machte in seinem Vortrag über das Editorial Design des Jahres drei zentrale Trends aus: 1. die Zeitung als Magazin, 2. die Zeitung als tägliche Wochenzeitung und 3. die kontinuierliche Weiterentwicklung der Publikation. Die ersten beiden Trends zeigen sich laut Küpper etwa an der sehr bewussten Titelseitengestaltung, die zu Covern zwischen Wochenzeitung und Magazin führt. Dazu passte, was Pieter Klok von der niederländischen Zeitung Volkskrant, die 2021 als überregionale Zeitung des Jahres ausgezeichnet wurde, als zentralen Erfolgsfaktor ausmachte: „The more boring the subject, the more creative the presentation“. Und Eberhard Wolf, der im vergangenen Jahr das Redesign von Contacto, der Luxemburger lokalen Wochenzeitung der portugiesischen Community begleitete, hob hervor, das die Bildsprach des von ihm gestalteten Blattes sich an Nachrichtenmagazinen orientiere und auf Illustrationen und Infografiken portugiesischer Designer*innen setze.
Auffällig ist nach diesem halbtägigen Einblick in das europäische Zeitungsdesign, wie sehr sich die Trends ähneln. Quer über den Kontinent wird viel mit Illustrationen und einzelnen großen Fotografien, Weißräumen und Infografiken gearbeitet. Damit geht das Gefühl einher, dass Unterschiede – zumindest aus Layoutperspektive – immer stärker verloren gehen und damit möglicherweise auch die Alleinstellungsmerkmale einzelner Publikationen verschwinden. Darüber hinaus wurde einmal mehr deutlich, wie schwer kritische Debatten in einem Online-Format zu führen sind. So gingen die tatsächlich spannenden Fragen aus der Zuhörerschaft im Chat zwischen den dreisprachigen Channels verloren. Insofern muss die Debatte darüber, welche Rolle etwa freie Journalist*innen in den neuen Publikationen spielen und ob neue digitale Anwendungen, wie die prämierte Plattform Readly, nicht auch einen Preisdruck vor allem für kleine Verlage erzeugen, an anderen Orten weiter diskutiert werden.
Text: Dr. Felix Koltermann