Marcus Hormes im Gespräch
„Im Lokaljournalismus wollen die Leser etwas von vor Ort sehen“

Im Lokaljournalismus ist es heute Standard, dass die Redakteur*innen neben den Texten auch Bilder produzieren und diese für die Publikation auswählen. Wie Lokalredaktionen organisiert sind, welche Rolle die Fotografie spielt und was Volontär*innen in der Zukunft alles können müssen, darüber sprach Felix Koltermann mit Marcus Hormes, dem Leiter einer Lokalredaktion beim Trierischen Volksfreund.

FK: Was sind die Eckpunkte, die ihre tägliche Arbeitsplanung bestimmen?

MH: Also zuerst einmal ist kein Tag wie der andere. Kein Tag ist vollständig zu planen und bleibt genauso, wie man es sich gedacht hat. Wenn wir das, was aktuell passiert, nicht berücksichtigen, würden wir keinen guten Job machen. Aber natürlich ist Planung wichtig, um ein Grundgerüst zu haben. Da gibt es die langfristige Planung, also das, was wir an Grundsätzlichem vorhaben und wohin wir uns als Redaktion entwickeln wollen. Die Wochenplanung erfolgt in Abstimmung mit dem Mantel und den verschiedenen Lokalteilen und legt die Big Points sowie Klärungsbedarf fest. Zuletzt gibt es die konkrete Tagesplanung, die am Vorabend beginnt, damit man eine Vorstellung von den Top-Themen hat, und die dann am Morgen präzisiert und aktualisiert wird.

Die Grundlage meiner Arbeit ist der Seitenplan des Tages. Darauf ist angegeben, wie viele Seiten zur Verfügung stehen, wo die Seiten laufen, wie deren Belegung mit Anzeigen ist und wie die zwei verschiedenen Lokalausgaben, die wir für Trier und Trier-Saarburg machen, aufeinander abgestimmt sind. Für den Online-Bereich und die sozialen Medien mache ich eine spezielle Planung. Wir haben regelmäßige Elemente wie Kolumnen oder Serien, aktuelle Termine und Veranstaltungen, die von den Redakteuren gesetzten Schwerpunkte, das von den freien Mitarbeitern angelieferte Text- und Bildmaterial und das, was Vereine und Einrichtungen schicken.

FK: Welche Konferenzen und internen Abstimmungen sind damit verbunden?

Konkret geht es derzeit um 10 Uhr mit der ersten Konferenz mit den Chefreportern und der Chefredaktion los. Dann kommt um 10.30 Uhr die Konferenz von unserem Lokalteam. Um 11 Uhr ist eine Tages-Konferenz zum Mantel und den verschiedenen Lokalteilen. Dort wird abgesprochen, wer was macht und wo und wie man einzelne Themen vielleicht auch in andere Ausgaben übernimmt. Über den Tag gibt es gegebenenfalls Anpassungen, etwa wenn ein Unfall passiert oder aktuelle Nachrichten reinkommen, wie heute zum Beispiel eine Kita, die wegen eines großen Wasserschadens lange geschlossen werden muss. Für uns ist vor allem wichtig, dass wir frühzeitig für alle Kanäle planen. Weil der Bereich Online anders im Tagesverlauf genutzt wird, denken wir derzeit darüber nach, unsere Zeiten noch einmal weiter nach vorne zu legen und anzupassen. Gegen 16 Uhr folgt ein Abstimmungsgespräch mit der Chefredaktion, die über die bis dahin erstellten Print-Seiten und Online-Artikel schaut, was ihr auffällt, und wo wir vielleicht noch etwas nachbessern können.

FK: Welche Funktion hat für Sie die Fotografie ganz grundsätzlich im Lokaljournalismus?

MH: Auf jeden Fall eine sehr wichtige, die auch immer bedeutender wird. Man sieht es etwa daran, dass online ohne Bild praktisch gar nichts geht. Ein Bereich übrigens, der für uns immer wichtiger wird. Da würden wir jede Polizeimeldung eher mit einem Symbolbild versehen, als dass wir gar keines bringen. Der Mensch ist eben darauf fixiert, über ein Bild in den Text hineingezogen zu werden. Was aber nicht heißt, dass das Bild nur Mittel zum Zweck ist. Natürlich überträgt ein Bild im Idealfall auch unheimlich viele Informationen. Diese Funktion gab es schon immer, und die ist auch heute noch aktuell. „Was kann ich daraus erfahren? Was sagt mir das? Welche Stimmung  kommt rüber?“ sind wichtige Fragen, die von Bildern ausgelöst werden.

FK: Woher stammen denn die Fotografien, mit denen Sie die Artikel im Lokalteil bebildern?

MH: Da gibt es vier Gruppen. Da sind zuerst einmal die festangestellten Redakteure und Volontäre und zweitens die freien Mitarbeiter. Dann greifen wir auch auf Agenturen – in unserem Fall das dpa-Abonnement – zurück. Im Lokalteil nutzen wir das vor allem, wenn es in den symbolischen Bereich geht. Und viertens gibt es noch die eingereichten Bilder, die wir von Einrichtungen, Verbänden usw. bekommen. Ergänzend haben wir auf den coronabedingten Ausfall vieler Veranstaltungen reagiert: Die tägliche Service-Seite, die normalerweise Ankündigungen enthält, bestücken wir teilweise mit schönen Leserfotos zu Themenschwerpunkten. Zum Beispiel Hobbys wie Oldtimer und besondere Fahrzeuge, Garten, Malerei oder Haustiere. Leser finden sich so in der gedruckten Zeitung und in Online-Fotostrecken wieder.

FK: Seit einigen Jahren hat der TV keinen eigenen Fotografen mehr. Was sind denn die Vor- und Nachteile, wenn die festen Redakteur*innen bzw. freien Mitarbeiter*innen die Bilder selbst machen, anstatt Fotograf*innen mitzuschicken?

MH: Ein reiner Fotograf hat den Vorteil, dass er sich darauf konzentrieren und seine ganze Zeit und Gedanken dafür aufwenden kann, das beste Motiv und die beste Perspektive zu wählen. Aber es gibt auch Vorteile, alles aus einer Hand zu machen. Dadurch vermeidet man Reibungsverluste durch das Abstimmen zwischen dem Autor und dem Fotografen, weil erst mal ausführlich beschrieben werden muss, was der Autor sich vorstellt und um welches Thema es geht. Das entfällt dann natürlich, weil der Autor selbst der Experte ist. Das Modell setzt voraus, dass die nötige Technik vorhanden ist und bedient werden kann. Aber da hat sich einiges weiterentwickelt, so dass die Technik einem heute vieles abnimmt. Der Blick für das gute Motiv ist natürlich nach wie vor gefragt, aber den kann man als schreibender Redakteur auch lernen.

FK: Haben Sie Ihre Redakteur*innen nochmal speziell geschult, seitdem diese selbst für das Bildmaterial verantwortlich sind?

MH: Das ist ein laufender Prozess. Schulungen gibt es immer wieder, auch im Bereich der Fotografie. In erster Linie ist es aber ein tägliches gegenseitiges Training bzw. eine ständige Kooperation. Wir jazzen uns da gegenseitig ein bisschen hoch, da jeder ein gutes Bild machen will. Wir holen uns auch Tipps von Kollegen und überlegen dann, wie wir das selbst umsetzen können. Das ist eher ein ständiger Prozess, als zu sagen: Morgen ist ein halber Tag Schulung, und dann sind alle gute Fotografen.

FK: Wie läuft dann die Bildauswahl in der Redaktion ab?

MH: Grundsätzlich hat jeder Reporter die Aufgabe, Texte zu schreiben und Bilder zu liefern. Das kann natürlich je nach Thema sehr unterschiedlich aussehen. Wenn ich eine Baustelle fotografiere, habe ich das Motiv sozusagen vor der Nase, da brauche ich mir nicht viele Gedanken zu machen. Aber bei anderen Motiven, die sich nicht so direkt aufdrängen, muss ich schon überlegen, wie ich das ordentlich bebildert bekomme. Und natürlich gibt es auch Meinungsverschiedenheiten, was jetzt das beste Bild wäre. Entscheidend ist immer, ob das Bild den Leser, egal ob bei online oder print, in den Artikel hineinzieht und er mehr darüber wissen und erfahren will. Natürlich muss es auch qualitativ in Ordnung sein, Technik und Auflösung müssen stimmen. Wenn es verschiedene Meinungen gibt, liegt die Entscheidung bei der Ressortleitung oder der Chefredaktion.

FK: Wie stehen sie zum Einsatz von Symbolbildern? Wann machen sie Sinn, wann lässt man sie lieber weg?

MH: Symbolbilder sind nicht so beliebt, denn gerade im Lokaljournalismus wollen die Leser etwas von vor Ort sehen und nichts aus Berlin oder München. Wenn wir die Möglichkeit haben, selbst ein Bild zum Thema zu schießen, dann nutzen wir die Chance auch weiterhin. Es gibt aber Themen wie z.B. Gerichtsprozesse, die schwierig zu fotografieren sind. Wir könnten natürlich alle Angeklagten fotografieren, aber dann müssen wir sie unkenntlich machen. Und dann kommt der dritte Bericht über den Prozess, und es ist immer noch derselbe Angeklagte. Da müssen wir uns schon mal etwas anderes überlegen. Wir nutzen, sofern vorhanden, Archivbilder vom Tatort oder nehmen eben ein Symbolbild aus dem Gerichtssaal oder zum konkreten Tatvorwurf.

FK: Haben sie eine redaktionelle Richtlinie zu den Bildunterschriften? Oder ist es eine gewachsene Praxis, wann sie etwas als Symbol- oder Archivbild kennzeichnen?

MH: Da gibt es klare Regeln. Archivbild schreiben wir grundsätzlich immer dann, wenn ein Bild schon mal in einer früheren Ausgabe von uns erschienen ist. Und Symbolbild schreiben wir, wenn es ganz bewusst symbolisch eingesetzt wurde. Teilweise schreiben wir es sogar in die Bildunterzeile selbst rein, also zum Beispiel: „Wie auf dem Symbolbild zu sehen …“. Denn nicht jeder Leser nimmt den Fotocredit am Ende wahr, wo dann nochmal Symbolbild kleingedruckt steht. Wir wollen wirklich deutlich machen, dass es keine aktuelle Situation, sondern eine nachgestellte Szene ist, wo etwa ein Einbrecher ins Haus geht, deswegen benennen wir das klar.

FK: Sind denn ihrer Meinung die Themen Fotografie und Bildredaktion ausreichend in den Volontärsausbildungen präsent?

MH: Für mich ist das eine grundlegende Frage zum Beruf des Journalisten. Ist ein Journalist jemand, der recherchiert und schreibt – also das klassische Bild aus früheren Jahrhunderten – oder gehört heute eben viel mehr dazu, wie zum Beispiel das Layouten von Seiten am Rechner? Wir haben das bei uns so aufgeteilt, dass pro Tag zwei Kollegen für das Seitenbauen zuständig sind, als Producer, wie wir das nennen. Die anderen sind dann eben die Reporter. Jetzt könnte man fragen: „Producer, was hat das mit Journalismus zu tun?“ Aber da gehört unheimlich viel dazu: die Gewichtung auf den Seiten, die ansprechende Gestaltung, das Redigieren von Texten, das Auswählen, Platzieren und Zuschneiden von Fotos. All das sind ganz klassische journalistische Arbeiten, natürlich und gerade auch das Fotografieren. Auch kleine Videos drehen oder eine Instagram-Story machen gehört heute zum Kerngeschäft. Aber die Gefahr besteht immer, sich zu sehr auf den Text zu konzentrieren und da unheimlich viel Zeit aufzuwenden.

FK: Vielen Dank für das Gespräch.

Marcus Hormes TV-Foto: Klaus Kimmling

Marcus Hormes (47) stammt aus der Eifel, hat Politikwissenschaft, Neuere Geschichte und Sportwissenschaft in Gießen und Trier studiert. Nach dem Volontariat beim Westfalen-Blatt in Bielefeld wechselte er 1999 zum Trierischen Volksfreund, wo er seit 2017 zusammen mit Rebecca Schaal die Lokalredaktion Trier/Trier-Saarburg leitet.