Jane Dulfaqar im Gespräch
„Wenn einer ständig nur ans Design denkt, dann wird das nichts“

Der deutsche Zeitungsmarkt ist hart umkämpft. Zeitungen, die sich halten wollen, müssen ihre Eigenständigkeit als Marke beweise. In diesem Zusammenhang wird auch das visuelle Erscheinungsbild immer wichtiger. Felix Koltermann sprach mit der Zeitungsgestalterin Jane Dulfaqar über das Verhältnis von Fotografie, Design und Journalismus.

Felix Koltermann: Was zeichnet für Sie eine gute Zeitungsfotografie aus?

Jane Dulfaqar: Die ist Teil des Journalismus und folglich soll sie natürlich informieren und dokumentieren. Allerdings muss sie auch Zusatzinformationen bringen. Was überhaupt nicht geht, sind die berühmten Belegbilder. Das ist extrem langweilig. Natürlich sollen Bilder auch Emotionen wecken, das ist klar. Und Artikel, die aus dem lokalen Mikrokosmos berichten, wo der Leser ganz nah dran ist, sehen anders aus als Berichte etwa über Syrien. Da muss man innerhalb einer Zeitung die Balance halten. Meist ist es im Zeitungsalltag aber leider so: Außenpolitik, das ist der Teil mit den interessanten emotionalen Bildern und der Ideenfindung und Mühe für spannende Bilder im Lokalteil wird eher weniger Aufmerksamkeit gewidmet.

FK: Muss das so sein? Hat nicht gute gemachte Lokalfotografie auch ein riesiges Potenzial, Lokales spannend zu erzählen?

JD: Absolut. Aber dann darf ich nicht nur die Baustelle zeigen, sondern auch die Leute, die davon betroffen und genervt sind. Dann wird die Sache lebendig.

FK: Wenn wir vom Zeitungsdesign her auf die Fotografie schauen, welche Rolle kommt dieser im Produkt Zeitung zu?

JD: Erst einmal holt sie den Leser rein ins Blatt. Es ist ja bekannt, dass man zuerst auf das Bild schaut und dann die Überschrift oder die Bildunterschrift liest. Erst danach entscheidet der Leser, ob er auch den Text liest. Im Alltag ist es meist umgekehrt:  Redakteure kommen und sagen „Ich habe einen Text geschrieben und brauche jetzt noch ein Bild“. Das ist suboptimal. Im Idealfall arbeitet man aber von Anfang an zusammen. Dann kann man sich als Bildredakteur schon vorher Gedanken machen und muss nicht erst im Nachhinein, wenn alles fertig ist, zum Aufhübschen noch ein Bild liefern.

FK: Wie würden Sie denn verallgemeinert den Stellenwert eines Bildressorts in einer Zeitungsredaktion beschreiben?

JD: Ich hatte ein Riesenglück bei meinen Arbeitgebern. Dort wurde die Bildredaktion bzw. die Gestaltungsabteilung – das kann man ja überhaupt nicht getrennt denken – immer sehr wertgeschätzt. Insofern habe ich sehr, sehr gute Erfahrungen. Allerdings bin ich aber auch nicht der Charakter, der ruhig wartet bis die Arbeit kommt, ich bringe auch ungefragt Ideen und Ratschläge ein. Das halte ich für wichtig, denn ein Bildredakteur sieht Nachrichten ja ganz anders. Vor allen Dingen schaut er Nachrichten und sieht am Tag Tausende von Bildern. Somit hat er natürlich die Anschauung im wahrsten Sinne des Wortes und das Wissen, mit welchen spannenden und möglicherweise unkonventionellen Bildern der Aufmerksamkeitswert eines Artikels gesteigert werden kann. Der schreibende Redakteur hat eine ganz andere Art zu denken, logischerweise geprägt von seinem Text. Das zu filtern und zusammenzubringen, ist eine Herausforderung beim Zeitungmachen im Sinne des Lesers. Insofern ist eine Bildredaktion auch ein Zugewinn an Information für eine Zeitung.

FK: Heißt das zugespitzt, dass gutes Zeitungsmachen ohne Bildredaktion schwierig ist? Oder kann das funktionieren?

JD: Irgendwie kann immer alles funktionieren, was man machen will. Und das kann auch qualitätsvoll sein. Aber es hängt natürlich sehr von der Zeitung und ihrer Organisation ab. In Skandinavien zum Beispiel gibt es Zeitungen, die haben 14 Leuten in der Gestaltungsabteilung und fünf schreibende Redakteure. Die räumen dann regelmäßig die Preise bei den Newspaper Awards ab und kommen sicher nicht ohne Bildredaktion aus. Wenn man ohne auskommen will, kann man das machen. Es wird dann ein halbes Jahr Beschwerden von den schreibenden Redakteuren geben, weil auf sie mehr Arbeit zukommt. Sie werden es andererseits aber auch gut finden, dass sie nicht mehr mit Kollegen aus der Bildabteilung diskutieren müssen, denn das kostet auch Zeit. Natürlich wird man sich dann auf die großen Anbieter wie die dpa konzentrieren, was bedeutet, dass sich die Zeitungen immer mehr gleichen. Ich finde das langweilig und auch nicht funktional. Man sieht das auch schon beim Trend „online first“: Da wird das, was online steht, oft einfach in die Zeitung gekippt. Das sind aber zwei vollkommen verschiedene Medien. Ich glaube nicht, dass es so funktioniert. Die Zeitung ist eben kein gedrucktes Internet.

FK: Wie stehen sie zum Einsatz von Stockfotografie im Zeitungsjournalismus?

JD: Das wiederspricht sich ein bisschen. Denn Stockfotos sind vorab hergestellt, also nicht an Nachrichten gekoppelt. Und in der Zeitung geht es ja um die Nachricht bzw. die Hintergrundinformation. Man kann das machen. Die Überschrift „Lufthansa fühlt Wind unter den Flügeln“, dazu dann ein Foto mit einer Tragfläche, das ist ungefähr so spannend wie lauwarmes Wasser. Man kann diese Bilder trotzdem gelegentlich verwenden, wenn man z.B. Beilagen macht. Und wenn man lange und aufmerksam in den Datenbanken sucht, findet man auch Fotos, die druckwürdig sind und zum Thema passen.

Aber schreibende Redakteure haben dafür keine Zeit. Und bei Zeitungen, die viel mit Stockfotos arbeiten, sieht man, das „möglichst billig“ die Devise ist. Man findet dann zu ähnlichen Themen immer ähnliche oder gar gleiche Bilder. Dieser Effekt entsteht, wenn man einen Suchbegriff in die Datenbank eingibt und nur maximal durch die ersten zwei, drei Seiten scrollt. Die Bilder, die am meisten verwendet werden, rutschen natürlich automatisch von Algorithmen gesteuert nach vorne, wodurch immer wieder dieselben Bilder zu ähnlichen Themen verwendet werden. Das schafft Langeweile, Ununterscheidbarkeit in der eigentlichen Diversität unserer Zeitungslandschaft und generiert letztendlich Interesselosigkeit an gedruckten Produkten.

FK: Kommen wir mal zur Zeitungsgestaltung. Sie haben bei der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau den gestalterischen Relaunch begleitet. Was sind bei so einem Projekt die zentralen Prämissen?

JD: Zuerst schaut man sich an, wer die Zeitung überhaupt liest und warum der Leser die Zeitung abonniert hat. Dann überlegt man, wie weit man sein lieb gewonnenes tägliches Ritual verändern kann, ohne ihn zu verschrecken. Wobei ich jedoch festgestellt habe, dass der Leser sich bei jeder Veränderung erst einmal erschreckt. Es gibt Abbestellungen von Abos und es hagelt böse Briefe. Über diese erste Phase der Gewöhnung an das Neue muss man hinweg, dann spürt der Leser, dass das Neue gar nicht so schlecht, im Gegenteil sogar besser ist, übersichtlicher, lesbarer, moderner. Es sollte dann aber auch wirklich besser sein. Storytelling ist schon über 20 Jahre alt, wird aber immer noch nicht gemacht. Die Leser finden es toll, wenn sie Bilder bekommen und ein Thema aus fotografischer, grafischer und textlicher Perspektive inhaltlich bearbeitet wird. Natürlich geht es auch darum, eine Gewichtung und einen Rhythmus zu finden und auch die Lesbarkeit ist ein Thema.

FK: Kurz zusammengefasst, wie ist denn ihrer Meinung nach das Verhältnis von Gestaltung, Design und Journalismus in der Zeitung?

JD: Ich habe mich nie als Gestalterin verstanden, sondern immer als Journalistin. Das habe ich zwar nicht gelernt, aber irgendwie bin ich es geworden und das wurde sehr geschätzt. Die Gestaltung sollte nicht die Abteilung sein, die nur fürs „Schönmachen“ zuständig ist. Gute Gestaltung denkt in Inhalten und Nachrichten. Wenn einer ständig nur ans Design denkt, dann wird das nichts. Natürlich muss man seine Ideen gelegentlich verteidigen, aber wenn mir der Redakteur Änderungswünsche inhaltlich gut begründen kann, dann habe ich damit auch kein Problem.

FK: Durch die Marktkonzentration kommen immer mehr Zeitungen unter das Dach eines Verlags. Wie beurteilen Sie diesen Prozess aus einer gestalterischen Perspektive?

JD: Das gut zu machen, ist extrem schwierig, vor allem für die Zeitungsmacher in der Zentrale. Ich habe in einer Zeitungsredaktion mit vielen Regionalausgaben gearbeitet. Wenn man bis 18:30 Uhr mit der Hauptausgabe fertig war, dann wurden die Landkreise bestückt, aus der Zentrale. Aus redaktioneller Sicht ist das vielleicht praktisch und wirtschaftlich vernünftig. Aber es geht dabei verloren, dass all diese Regionen Eigenheiten haben und Deutschland eben kein zentralistisches Konstrukt ist. Und um nochmal das Beispiel Skandinavien anzuführen: Da gibt es Orte mit 3000 Einwohnern, die irrwitzig aufwendig gemachte Zeitungen haben. Auch eine Doppelseite über die Freiwillige Feuerwehr kann man hervorragend gestalten. So wird Regionalität ganz anders gelebt.

FK: Vielen Dank für das Gespräch.

© Alex Krauss

Jane Dulfaqar ist freiberufliche Beraterin für Zeitungsdesign und Infografik. Nach einem Studium der Kulturtheorie und Ästhetik arbeitete sie zuerst als Fotografin, später als Bildredakteurin unter anderem für die Berliner Zeitung, deren Bildredaktion sie von 1998 bis 2006 leitete. Nach einem Abstecher zur Bildredaktion der Süddeutschen Zeitung kam sie als Art Direktorin zurück zur Berliner Zeitung.

Das Interview erscheint in einer Medienpartnerschaft dem ver.di-Medien-Magazin „Menschen Machen Medien“ sowie des European Journalism Observatory (EJO).