Bildredakteur*innen sind heute in einer Vielzahl von Institutionen tätig, die vom Bereich Journalismus über PR, Werbung bis hinzu NGOs, Stiftungen und Unternehmen reichen. Die private Berliner Ostkreuzschule für Fotografie (OKS) ist die einzige Bildungsinstitution in Deutschland, die für diesen Kreis eine spezifische einjährige Weiterbildung anbietet. Von seinen Eindrücken eines zweitägigen Besuchs in der Bildredaktionsklasse der OKS berichtet Felix Koltermann.
Es ist ein früher Sonntagmorgen Ende Januar 2022. Nach und nach trudeln die die Teilnehmer*innen ein. Manche haben aufgrund einer weiten Anreise Reisegepäck bei sich, andere nur ihren Tagesrucksack. Bei einer Zigarette auf der Stahltreppe mit Blick in den Hinterhof werden private und berufliche Neuigkeiten ausgetauscht. Wir befinden uns im Berliner Stadtteil Weißensee, in einer ruhigen Seitenstraße zwei Blocks vom Antonplatz entfernt. Hier liegen über einer überbauten Hofeinfahrt mit Blick auf die majestätische Fassade der Kirche St. Josef die Räumlichkeiten der Berliner Ostkreuzschule für Fotografie. Gleich beginnt der letzte der zehn einwöchigen Workshopblocks der sogenannten Bildredaktionsklasse, einer einjährigen zertifizierten berufsbegleitenden Weiterbildung für (zukünftige) Bildredakteur*innen.
Die Ostkreuzschule ist eine private Berliner Bildungseinrichtung mit verschiedenen Angeboten aus dem Bereich Fotografie, darunter ein sieben-semestriges Studium, einzelne Workshops und eine postgraduale Meisterklasse. Gegründet wurde die Schule von den Fotografen Thomas Sandberg und Werner Mahler im Jahr 2015. Der Name ist von der Fotoagentur namens Ostkreuz übernommen, mit der die Schule eng verbunden ist. Ein Stockwerk tiefer befinden sich die Räumlichkeiten der Agentur und viele der Lehrer*innen der Schule sind Fotograf*innen, die von Ostkreuz vertreten werden. Seit 2011 leitet Nadja Masri die Bildredaktionsklasse. Der Begriff „Klasse“ ist dem Sprachgebrauch der Kunsthochschulen entlehnt. Vorher war Nadja Masri für fast 10 Jahre Büroleiterin und Senior Photo Editor des Korrespondentenbüros der Zeitschrift GEO in New York. Unter ihrer Leitung hat sich die Weiterbildung an der OKS zu einem der wichtigsten Orte der deutschen Bildredaktionsszene entwickelt. Neben Nadja Masri, die die ersten drei Tage der Workshopwoche unterrichtet, gehören Enno Kaufhold (Fotogeschichte und Ausstellungsbesuche) und Betty Fink (Projekt mit den Agenturfotograf*inne) zum festen Team. Zudem werden weitere Gastdozent*innen wie etwa Katharina Mouratidi (Kuration) oder Kevin Mertens (Arbeit der Tageszeitung) eingeladen.
Der Kurs wird jährlich angeboten und läuft von März bis Ende Januar. Vorgeschaltet ist ein Bewerbungsprozess mit persönlichem Auswahlgespräch. Im Februar gibt es jeweils eine Präsentation der Abschlussprojekte. Dieses besteht u.a. aus einer gemeinsamen Buchpublikation mit dem Titel „Edited“ (vormals „New York Edited“). Unter der Bildredaktion von Nadja Masris Klasse werden darin die Abschlussarbeiten von Studierenden des International Center of Photography in New York und der Fotoklasse der Berliner Ostkreuzschule präsentiert. Die Themen der Ausbildung sind breit angelegt und reichen von Bildrecherche und Editing, Bildethik und journalistisches Schreiben bis hin zu Verschlagwortung. So vielfältig wie die Themen des Kurses, sind die Hintergründe der Teilnehmer*innen. Im Jahrgang 2021 finden sich Kommunikationswissenschaftler*innen, Grafikdesigner*innen und Ethnolog*innen in einer Gruppe zusammen. Sie kommen entweder direkt aus dem Studium, oder haben schon beachtliche Berufsbiographien, sei es als Buchgestalter*innen, in der Fotoproduktion oder in der Content-Produktion für Social-Media. Nicht alle haben das Berufsfeld Bildredakteur*in als Ziel, sondern wollen in diesem Bereich zusätzliche Kompetenzen erwerben.
Für den ersten Tag des letzten Workshops ist ein Portfolioreview für die Fotostudierenden und Absolvent*innen der Ostkreuzschule geplant. Vor dem Start wiederholt die Gruppe was wichtig für ein Portfolioreview ist, wie etwa eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, die Erwartungen mit den Teilnehmer*innen zu klären und mit positivem Feedback in das Gespräch zu starten. Die angehenden Bildredakteur*innen führen in Zweierteams in 25-minütigen Slots je fünf Reviews durch. Während einige der Fotostudierenden mit fertigen Serien kommen, haben andere Projekte dabei, die eher noch Work in Progress sind. Je nach Interesse der angehenden Fotograf*innen geht es entweder darum, zu überlegen wo und in welcher Form die Arbeit publiziert werden könnte, oder wie der Charakter der Geschichte durch ein besseres Edit gestärkt werden kann. Die Simulation einer Portfolioreview mit Studierenden ist insofern eine gute Übung, als dass dieses Format für Bildredakteur*innen sehr wichtig ist, um neue Fotograf*innen und fotografische Projekte kennenzulernen. Bei der Reflektion des Tages wird deutlich, wie herausfordernd es ist, sich immer wieder in neue Themen reinzudenken. Einige schildern die Erfahrung, dass sie gelernt haben professionell über Fotografie zu sprechen und das in einem Jahr gesammelte Wissen des Kurses abrufen zu können.
Der zweite Workshoptag startet mit einer Übung zum Thema „Ein schönes Bild“. Es ist der Abschluss einer Recherche, die die Gruppe schon das ganze Jahr begleitet. Jede*r Teilnehmer*in steuert ein Lieblingsbild bei und muss in einem Text begründen, warum das ausgewählte Bild ein gutes Bild ist. Die Aufgabe der Gruppe an diesem Morgen ist es, die 14 Bilder in einer Reihenfolge aus zwei mal sieben Bildern zu bringen, die dann zusammen mit den Texten als zwei Blogeinträge auf dem Schulblog OKS Lab veröffentlicht werden. So wie in „Ein schönes Bild“ werden über das Jahr verschiedene Text und Bildformate für den Schulblog produziert. Es ist extrem spannend zu beobachten, wie beim Schieben der Bilder an der Wand durch kleine Änderungen andere Geschichten und Assoziationen entstehen, welches Bild plötzlich für sich steht und wie völlig neue inhaltliche Bezüge entstehen können. Es ist genau das, was das sogenannte Sequenzieren, also das Bilder in Reihenfolge bringen, als einem zentralen Element bildredaktioneller Arbeit ausmacht.
Für den Nachmittag ist eine Blattkritik mit dem evangelischen Monatsmagazin Chrismon geplant. Aufgrund der Coronapandemie findet das Treffen virtuell auf Zoom statt. Die Klasse hat sich in kleinen Gruppen über die Schulräume verteilt, während die Chrismon-Redaktion zu Hause oder im Büro vor ihren Rechnern sitzt. Ursula Ott, Chefredakteurin der Zeitschrift und Michael Apel, Fotoredakteur erzählen, dass bei ihnen bis heute alles In-House läuft, von der Druckvorstufe über Redaktion bis zu Foto, Grafik und Bildredaktion. Kenntnisreich und präzise gehen die angehenden Bildredakteur*innen der Klasse das Magazin durch, loben das schlichte Layout und die Übersichtlichkeit sowie den persönlichen Ton der Texte und die spannenden Themen, nehmen Details war und bringen diese in Kritik, wie etwa die Trennseiten der Abonnementversion oder die kleinteiligen Infoseiten. Die Chrismon-Redakteur*innen hören aufmerksam zu, stellen Fragen und erläutern im Gespräch die redaktionellen Entscheidungen, die hinter dem von den Studierenden analysierten Produkt liegen.
Für den dritten Tag der letzten Workshopwoche, überlasse ich Nadja Masri und ihre Gruppe wieder sich alleine. Auf dem Programm steht Abschluss und Reflektion der vergangenen elf Monate. Mein Eindruck ist, dass jede* und jeder* für sich sehr viel aus diesem Kurs mitgenommen hat, egal ob sie* oder er* zukünftig tatsächlich als Bildredakteur*in oder anderweitig fotografiebezogen arbeiten werden. Wie sehr die Absolvent*innen der Klasse gefragt sind, zeigt sich daran, das noch vor Abschluss des Kurses zwei Teilnehmer*innen den Weg in die Bildredaktion renommierter deutscher Verlagshäuser gefunden haben oder im Bewerbungsverfahren stehen. So verwundert es nicht, dass wenige Wochen später der neue Jahrgang mit ebenso großem Interesse und Erwartungen startet.
Text: Dr. Felix Koltermann