Jahr für Jahr wird in Berlin die Rückblende verliehen, der Preis für politische Fotografie und Karikatur. Aus Anlass der diesjährigen Preisverleihung sprach Felix Koltermann mit dem langjährigen Jury-Mitglied Michael Ebert (DGPh) über die Stellung der Fotografie im deutschen Zeitungsjournalismus.
Herr Ebert, was zeichnet das Siegerfoto von Marcel Kusch der Rückblende 2019 aus?
Ich würde sagen die Aktualität und die Qualität des Fotos. Denn das ist etwas, was die Rückblende auszeichnet. Es ist ein Zeitungswettbewerb, der ganz im Zeichen des politischen Jahres steht. Und natürlich waren Fridays for Future und die Demonstrationen gegen den Klimawandel etwas, was das politische Jahr in der Tat sehr geprägt hat. Das Gewinnerbild ist ein fast schon zeitloses Protest- und Widerstandsbild. Es ist ein Symbol und es steht für diese Zeit. Jeder der sich den Katalog des Wettbewerbs in 10 Jahren anschaut, wird sich an diese Demonstrationen erinnern.
Die Rückblende ist ein Preis für politische Fotografie. Was verstehen Sie unter politischer Fotografie?
Für mich ist eine politische Fotografie ein Bild, welches wiedererkennbar das gesellschaftspolitische und soziale Gefüge einer Zeit dokumentiert. Das ist kein Bild, das nur Politiker zeigt: Es muss politisch sein, muss eine Relevanz haben. Und da kann man den Rahmen durchaus auch etwas weiter ziehen und ein Bild darunter fassen, das in Afghanistan aufgenommen wurde und dort den deutschen Verteidigungsminister zeigt. Es muss auf jeden Fall zuordenbar sein, in die Zeit passen und eine Bedeutung haben. Und ich glaube, die Fotografinnen und Fotografen, die sich an dem Wettbewerb beteiligen, die haben das auch verstanden.
Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Preisen im Bereich Fotografie und Fotojournalismus. Welche Bedeutung kommt in dieser Landschaft dem Wettbewerb Rückblende zu?
Der Preis ist wichtig, weil er die richtigen Leute erreicht und die richtigen Leute mitmachen. Das sind vor allem auch die Agenturen. Ich versuche meinen Studierenden immer mitzugeben, dass sie die nicht vergessen. Bildnachrichtenagenturen sind eine sehr wichtige journalistische Plattform, ob das Reuters, AFP oder dpa ist. Denn wenn man sich anschaut, von wem die wichtigsten Bilder des 20. Jahrhunderts stammen, kommen die zum überwiegenden Teil nicht von den Edelfotografen der Agentur Magnum, sondern von Fotografen der Bilderdienste wie AP, UPI oder anderen großen Agenturen. Das sind die Leute, die manchmal stundenlang vor irgendwelchen Hotels oder Parteizentralen stehen und immer ein bisschen im Hintergrund des Ruhmes von anderen großen Preisen stehen.
Warum prämiert Rückblende keine fotografischen Arbeiten im publizistischen Kontext, sondern ermöglicht die Einsendung von Einzelbildern oder Serien?
Ich bin schon viele Jahre in der Jury, aber nicht so lange wie es den Preis gibt. Von daher kann ich da jetzt nur spekulieren. Aber es ist natürlich so, dass Fotografinnen und Fotografen nicht immer glücklich sind mit der Auswahl der Bilder durch die Kunden sowie die Art und Weise der Präsentation. Bei der Rückblende können die Urheber bzw. die Autoren selbst entscheiden, was sie einreichen. Vielleicht reichen sie dann ein Bild ein, von dem sie glauben, dass es nicht so gewürdigt wurde, wie sie sich das gewünscht hätten.
Welche Rolle kommt der Fotografie heute in der gedruckten Zeitung zu?
Die Fotografie ist so wichtig wie nie. Es werden mehr Bilder gedruckt und gemacht als je zuvor. Vielleicht ist das die große Krux, das Fotografie eine Massenware wird. Wir haben durch die schnelle Verfügbarkeit und das Internet, durch die immer kürzeren Verifikationszeiten einen ungeheuer dynamischen Markt, der in seiner Entwicklung kaum noch beherrsch- und kontrollierbar ist. Und so ist eben die Schizophrenie, dass das Bild ungeheuer wichtig ist, aber als ungeheuer wertlos erscheint. Ich kann nur hoffen, dass die deutschen Verleger erkennen, dass Qualitätsjournalismus ein hochwichtiges Ding ist. Sie sollten ins Ausland gucken, da haben es Zeitungen wie die New York Times geschafft, mit Qualitätsjournalismus wieder ausgezeichnete Margen zu erreichen. Das bedeutet vor allem, nicht an den Foto- und Bildredaktionen zu sparen, sondern ins gute Bild und in die Autorenfotografie zu investieren.
Immer weniger Zeitungen haben festangestellte Fotografen. Ist der Zeitungsfotograf ein aussterbendes Berufsbild?
Ja, er ist es. Aber nicht, weil es keine Festanstellung mehr gibt, sondern weil es diesen Beruf eigentlich gar nicht mehr gibt. Als ich vor etwas mehr als 40 Jahren meine fotografische Karriere in einer Lokalredaktion begonnen habe, war ich auch nicht angestellt. Und ich wollte auch nicht angestellt sein, weil das meiner Mentalität widersprochen hätte. Ich war Pauschalist und wurde per Bild bezahlt. So hatte ich eine Garantie und damit für viele Jahre ein sehr anständiges Einkommen. Aber ich durfte auch andere Dinge machen und musste nicht morgens früh um 10 Uhr in der Redaktion sein, wenn nix los war. Das Problem ist, dass es diese Arrangements nicht mehr gibt, sondern Redaktionen gnadenlos auch die Pauschalisten und die festen Freien – also alle die einen professionellen Standard haben – wegrationalisieren und die Bilder irgendwo hernehmen.
Haben in den Zeitungsredaktionen die Bildredakteur*innen den Platz der Fotograf*innen eingenommen?
Wenn es qualifizierte Menschen sind, die sich um die Bilder kümmern, ist das ganz wichtig. Denn was wir brauchen, sind in erster Linie Bildprofis. Aber natürlich übernehmen die nicht den Job der Fotografen, sondern sind dafür da, aus den 5 Milliarden Bildern die kleinen Perlen rauszufiltern. Aber es gibt eine Sache, warum ich noch einen gewissen Optimismus für die Zeitungsfotografie habe. Meine Beobachtung ist, dass vor allem im Lokaljournalismus eine gewisse Boulevardisierung stattfindet und es z.b. immer weniger Kommunalpolitik gibt. Da passiert also genau das Gegenteil von dem, was wir als Profis glauben, dass es wichtig ist: nämlich Qualitätsjournalismus zu liefern. Diese Verkehrung ins Gegenteil passiert, weil deutsche Verleger immer noch dem Trugschluss erliegen, wenn es billiger ist, muss es dem Verlag dienen. Das ist natürlich Blödsinn: Es muss viel teurer sein. Man muss in die Qualität von Bild und Text wieder investieren. Nur so können Verleger Angebote machen, von denen die Leute sagen „Mensch, das muss ich wieder abonnieren“. Das ist die einzig wirklich gute Chance, die Talfahrt im Lokaljournalismus langfristig zu stoppen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Ebert (DGPh) ist Hochschullehrer und Fotograf. Außerdem arbeitet er als Buchautor und Kurator. Mit Lars Bauernschmitt hat er unter anderem das „Handbuch Fotojournalismus“ herausgegeben. Ebert unterrichtet Fotografie an den Hochschulen Magdeburg und Hannover, darüber hinaus ist er Mitglied in verschiedenen Jurys.
Das Interview erscheint in einer Kooperation mit Menschen Machen Medien von ver.di sowie dem European Journalism Observatory (EJO).