Damit fotografische Bilder überhaupt Eingang in die journalistische Bildkommunikation finden können, sind neben der Anfertigung der Fotografien weitere, komplexe Arbeitsschritte nötig. Zum Teil werden diese Tätigkeiten, wie all die Aspekte, die mit der Distribution von Bildern über die Datenbanken von Agenturen zu tun haben, von anderen Personen als den Fotograf*innen übernommen. Felix Koltermann sprach mit der Kunsthistorikerin Marita Iseler über ihre Arbeit in diesem Feld.
Es klingt paradox, aber ohne Text findet man keine Bilder. Wie erklärst Du das Verhältnis von Sprache und Bild bei der Datenbanksuche nach Fotografien?
Sieht man ein Bild, hat man in Millisekunden eine gewisse Vorstellung davon, was auf dem Bild dargestellt werden soll. Wir assoziieren, es entstehen Gefühle, Neugierde, Faszination oder Schrecken, wir sehen etwas Unbekanntes – oder es passiert gar nichts, das Bild ist uninteressant, je nach individueller Lebenserfahrung, Interesse oder Wissen. Eine zunächst völlig harmlos wirkende Straße in einer entlegenen Gegend entpuppt sich durch den Text als Ort eines Verbrechens. Das Bild erhält eine ganz neue Dimension. Mit Hilfe der Sprache beziehungsweise des Textes wird das Bild eingeordnet und kontextualisiert.
In der Datenbanksuche muss man andersherum denken. Wie soll ein Thema bebildert sein? Was will ich auslösen, was will ich damit sagen? Wichtig ist auch, für welche Zeitung oder welches Magazin ein Bild bestimmt ist. Zeige ich den echten Ort eines Verbrechens mit seiner Dramatik – Blutflecken, Leiche – oder zeige ich ein Symbolbild – da suche ich vielleicht nach Bildern mit Schlagworten wie Dunkelheit, Einsamkeit, Straße, Wald. Man kann über den Text auch zu völlig neuen Bild-Ideen oder Themen kommen, gibt man Begriffe wie Gemütlichkeit oder Verkehrein. Der Text vermittelt die Hintergrundinformationen, er unterstreicht die Glaubwürdigkeit des Bildes wie auch des Fotografen und verifiziert das Gezeigte.
Schlagwort, Stichwort, Caption, … Was sind die wichtigsten Textelemente, die Bildern mitgegeben werden und wodurch unterscheiden sie sich?
Die wichtigsten Textelemente leiten sich zunächst von den Metadaten ab, also jenen strukturierten Daten, die Informationen über das Bild enthalten und die dem digitalen Bild technisch angehängt sind. In analoger Zeit wurden diese Informationen auf die Rückseite geschrieben. Das sind der Name der Fotografin oder des Fotografen beziehungsweise des Inhabers des Copyrights, sodann Ort und Datum der Aufnahme, Hinweise, unter welchen Bedingungen das Bild veröffentlicht werden darf und welche Rechte zu beachten sind, etwa die von dargestellten Personen oder Eigentümern von Gebäuden oder Kunstwerken. Dann hat das Bild einen Titel (Headline), wozu auch die Information gehört, ob es Teil einer Serie ist. Die Bildunterschrift beziehungsweise Beschreibung gibt an, was auf dem Bild zu sehen ist (Caption). Dazu kommen dann die Schlagworte. Der Begriff Stichwort ist hier eigentlich falsch, denn Stichworte sind Wörter aus Text-Titeln, aus Zusammenfassungen oder Texten entnommen. Schlagworte dienen dagegen der inhaltlichen Erschließung. Dieser ganze Bereich ist eine eigene Wissenschaft, die im Bibliothekswesen zur Katalogisierung entwickelt wurde.
Du betreust unter anderem die Bilddatenbank der Agentur Ostkreuz. Was genau sind dort Deine Aufgaben?
Ich kümmere mich seit 2019 um das Bildarchiv der Agentur Ostkreuz und verschlagworte als Kunsthistorikerin auch Kunstwerke der Bilddatenbank akg-images. Beide Archive sind natürlich unterschiedlich – manchmal bin ich da gezwungen, sehr genau zu differenzieren. Bei Ostkreuz bekomme ich vom Agenturleiter Christian Pankratz die neuen Bilder, die von den Agenturfotograf*innen mit den grundlegenden Informationen zur Verfügung gestellt werden. Ich kontrolliere zunächst die Fakten: Stimmen Orte, Daten, Namen, stimmt die Beschreibung? Nicht dass da „Kuh“ steht und ein Esel zu sehen ist. Ich korrigiere Rechtschreibfehler und vergebe die Schlagworte. Wir sprechen in der Agentur auch über die Bilder, manchmal gibt es Rückfragen bei den Fotograf*innen, wenn etwas unklar ist. Dabei ist schon auf einiges zu achten, etwa, dass Persönlichkeitsrechte und Datenschutz gewährt sind. Wenn Zeit ist, korrigiere ich die Beschriftungen von Bildern, die schon länger im Archiv sind.
Was sind die Kriterien, nach denen dokumentarische und fotojournalistische Bilder verschlagwortet werden?
Das Wichtige ist, dass dokumentarische und fotojournalistische Bilder nicht in einem falschen Kontext gezeigt werden. Die Schlagworte beschreiben den Inhalt, sie sind sachlich und neutral, beinhalten andere Schreibweisen oder Synonyme. Dem liegt ein Thesaurus zu Grunde, also eine Sammlung von Fach-, Ober- oder Unterbegriffen, die in Kategorien geordnet sind. Diese Thesauri sind von Fachleuten erstellt worden. Oberthemen sind bei akg-images zum Beispiel Mensch/Gesellschaft, Politik oder Kultur/Unterhaltung, bei Ostkreuz gibt es Themen wie Berlin, DDR, Stadt. Das gewährleistet Kontinuität, die Nutzer*innen würden sich ansonsten verlieren. Festgelegte Regeln oder Formen sind auch technisch für die Suche wichtig sind, etwa die Verwendung von Komma oder Semikolon. Dann gibt es Kriterien wie Quer- oder Hochformat, Farbe/Schwarzweiß, Personen, keine Personen, Portrait, Nah- und Fern, Innen und Außen und so weiter. Darüber hinaus kann ich frei verschlagworten. Das Wichtigste ist es, sich zu überlegen, mit welchen Begriffen ich als Bildredakteurin, Grafikerin oder Buchgestalterin suchen würde, wenn ich genau dieses Bild in dem Kontext veröffentlichen möchte; die Schlagworte müssen den Kontext, das Wesen und die Atmosphäre des Bildes spiegeln. Sie müssen das Bild auffindbar machen.
Insbesondere wenn Fotograf*innen ihre Bilder über große Datenbanken und Agenturen vermarkten, schlagen die KI-Applikationen im Hintergrund Schlagworte vor. Wie hilfreich ist das und macht dies irgendwann die händische Verschlagwortung unnötig?
Ich habe bisher nicht mit KI gearbeitet, sehe aber immer wieder sehr lustige Fehler bei Agenturen, die zum Beispiel mit automatischen Übersetzern arbeiten. Ich denke, es funktioniert bei einfachen Bildmotiven – Schildkröte, Berg, See, Natur –, aber bei komplexen Bild-Themen, wo es über die reine Bildinformation hinausgeht, wo es etwa um Stimmung geht, kann ich es mir nicht vorstellen.
In diesem Jahr gab es einen Skandal um Bilder des Magnum Fotografen David Harvey. Bilder einer Serie von ihm über Kinderprostitution in Thailand in den 1980er Jahren waren unter anderem mit Begriffen wie „Unterwäsche, Brust, Teenager, …“ verschlagwortet. Ist eine solche Verschlagwortung aus Deiner Perspektive heute noch tragbar?
Die Fragen um die Veröffentlichung dieser Bilder sind komplex. Da ging es nicht nur um die Verschlagwortung, sondern auch darum, wie David Harvey fotografiert hat. Wie die „FAZ“ so treffend geschrieben hat, vermischen sich bei der Kritik berechtigte Fragen an die Arbeit von Harvey mit diffusen Vorwürfen an die Agentur. Da ist noch vieles unklar, es geht um ethische Grundsätze in der Fotografie und einseitige Perspektiven der Darstellung bestimmter Themen. Magnum hatte das Archiv sehr schnell offline gestellt und lässt nun das Archivmaterial mit externer Unterstützung prüfen. Aus der Presse ist daher nur noch bekannt, dass „Prostitution, Brust, Teenager, Unterwäsche“ und „Dreizehn- bis achtzehnjährig“ verschlagwortet waren. Eine Frage, die sich mir stellt, ist, was sonst noch in der Beschriftung des Bildes stand; wie war der Kontext beschrieben und welche Schlagwörter waren noch vergeben? Unabhängig davon, sind die Schlagworte „Unterwäsche“ und „Brust“ für den Kontext Kinderprostitution völlig irrelevant und daher fehl am Platz. Nach der UNICEF-Richtlinie für die Dokumentation von Kindern sollen Kategorisierungen oder Beschreibungen vermieden werden, die ein Kind negativen Repressalien aussetzen – keine Namen, keine Erkennbarkeit. Hier müssen die Würde und die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten gewahrt bleiben. Entscheidend ist auch, dass Bilder, auf denen sensible Darstellungen sind, nicht einfach heruntergeladen werden dürfen; es muss eine Kontrolle darüber stattfinden, in welchem Kontext die Bilder genutzt werden. Wobei die Veröffentlichung in einem Bildarchiv natürlich auch schon eine Veröffentlichung ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Maritta Iseler ist Kunsthistorikerin und Bildredakteurin. Sie hat an der Technischen Universität und an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin studiert, internationale Ausstellungskataloge mitbetreut sowie Ausstellungen kuratiert. Sie arbeitet freiberuflich, unter anderem als Bildredakteurin für „Wir machen das“. Die gemeinnützige Organisation setzt sich in verschiedenen Projekten im Bereich Kultur und Öffentlichkeitsarbeit für die Anerkennung von Diversität, Stärkung und Partizipation im Kontext von Flucht und Migration ein.