Es gehört zum Alltag des zeitgenössischen Journalismus, auf Berichte von NGOs und internationalen Organisationen zu reagieren und diese zum Berichterstattungsanlass zu machen. So geschehen im Juli auch in der Frankfurter Rundschau in Bezug auf einen Bericht des UNHCR zu den afrikanischen Fluchtrouten Richtung Mittelmeerküste. Wie die Bildkritik von Felix Koltermann zeigt, ist die Herausforderung dabei jedoch die adäquate Bebilderung.
„Auf der Route des Todes“ betitelte die Frankfurter Rundschau (FR) ihren am 30. Juli 2020 auf Seite 6 im Politikteil erschienenen Artikel über einen kürzlich veröffentlichten Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks über die Gefahren innerafrikanischer Fluchtrouten Richtung Mittelmeer. Der fünf-spaltige Artikel nimmt die komplette untere Seitenhälfte ein. Mittig ist über drei Spalten ein Bild des für die Nachrichtenagentur Agence France Presse arbeitenden Freelance-Fotojournalisten Michele Cattani platziert. Darauf ist in fahlem Licht zentral im Bild ein auf dem Boden hockender Mann in weißem Gewand vor einer Szenerie aus Schutt und Hüttenresten zu sehen. Am linken Bildrand befindet sich ein zweite Mann, der aufgrund seiner dunklen Kleidung und der Lichtverhältnisse kaum erkennbar ist. Die darunter platzierte Bildunterschrift lautet „Abgebrannte Hütten in Bamako/Mali“.
Die von der FR ausgewählte Bildnachricht wird quasi von vier Seiten gerahmt. Oben finden sich die Überschrift „Auf der Route des Todes“ sowie der Teaser „Das UN-Flüchtlingshilfswerk warnt vor Gefahren auf den afrikanischen Fluchtwegen zur Mittelmeerküste“. Links, unten und rechts umfließt der Artikel das Bild. Herausgehoben finden sich dort die Zwischenüberschriften „Dauerhaft traumatisiert“ und „In Libyen geht die Tortur weiter“. Im Text selbst wird Mali nur an einer Stelle erwähnt, in Bezug auf die „tödliche Route“, die das Land durchquert. Ansonsten geht es im Text recht allgemein um die Ergebnisse des UNHCR Berichts, ohne genauer auf die Zustände in einzelnen Ländern einzugehen.
Als mögliche Gründe für die Auswahl des Bildes kommen eigentlich nur zwei Optionen in Frage. Entweder es ging darum, die Fluchtgründe zu visualisieren, oder das, was die Menschen auf der Fluchtroute erleben. Da die Bildunterschrift keinen Hinweis gibt, bleibt die Zuordnung den Betrachter*innen überlassen. Das Problem ist jedoch: beide Zuordnungen sind falsch, zumindest in Bezug auf das konkrete Bild. Das legt die Recherche des Originalbildes bei AFP nahe. Dort erfahren wir zwar nicht, wer der Dargestellte ist, aber dass es schon Anfang Mai nach einem Brand in einem Camp für intern Vertriebene vom Volk der Fulani angefertigt wurde. Schaut man in den UNHCR-Report, so ist dort in Bezug auf Bamako und Mali konkret nur von einer hohen Zahl von Übergriffen an Checkpoints durch staatliche Sicherheitskräfte die Rede, aber nicht von Ereignissen, die mit dem Dargestellten in Zusammenhang gebracht werden könnten.
Kein Zweifel, das Bild des Mannes erregt durchaus Mitleid für seine Situation. Schon in solch einem Camp zu leben, ist eine menschliche Herausforderung und dieses durch ein Feuer zerstört vorzufinden, eine Katastrophe. Aber so hart dieses Schicksal ist, so wenig hat es doch mit den Vorfällen auf der Fluchtroute durch die Sahara zu tun. Wir wissen nicht, ob der gezeigte Mann je vorhatte, aufgrund des Vorfalles Richtung Europa zu fliehen. Das was ihm widerfuhr, ist schlimm, hat aber andere Konsequenzen und mit den Fluchtrouten nichts zu tun. Mit der von der FR vorgenommenen Vermischung von Themen, findet eine gefährliche Dekontextualisierung und Depolitisierung von Ereignissen statt. Denn Flucht ist nicht gleich Flucht und abgebrannte Hütten in afrikanischen Ländern nicht immer ein Fluchtgrund. Die Folge ist ein auf Stereotype reduziertes Afrikabild.