Im Zuge der Transformation des Journalismus sind neben den klassischen Ressorts Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport viele weitere Rubriken wie Gesundheit, Leben oder Arbeit entstanden. Inhalte dieser Ressorts machen mittlerweile einen Großteil des Onlinejournalismus aus. Der oft fehlende Bezug zu konkreten Ereignissen wie auch die Funktion der Artikel als preiswerte „Contentbeschaffer“ stellt deren Visualisierung vor große Herausforderungen, wie ein Beispiel von ZEIT ONLINE zeigt.
Am 2. Mai 2021 veröffentlichte ZEIT ONLINE einen Artikel in der Rubrik „Arbeit“ mit dem Titel „Ich habe drei Jobs und bin glücklich damit“. Der Artikel war Teil der Serie „Kontoauszug“ von Z+ und exklusiv den Abonnent*innen vorbehalten. Thema ist die Arbeitssituation eines jungen Mannes namens Oliver in der Coronakrise. Der Text ist ein von der Redakteurin Antonia Schaefer redigiertes Protokoll der Aussagen von Oliver.Das unter dem Teaser des Artikels platzierte querformatige Aufmacherbild zeigt einen Mann, der in einem dunklen Raum vor einem aufgeklappten Laptop mit Tabellen auf dem Bildschirm sitzt. Kontextualisiert wird das Bild mit folgender Bildunterschrift: „Während andere abends netflixen, arbeitet Oliver in seinem Zweit- oder Drittjob“. Als Bildquelle ist „Ridvan Celik/Getty Images“ angegeben.
Die für das Bild wesentlichen Elemente der Kontextualisierung sind die Überschrift, der Untertitel, redaktionelle Informationen zur Autorin, die Bildunterschrift und der Teaser. Alle diese Elemente haben einen einzigen Fokus, den Protagonisten des. Die Authentizität des Jobprotokolls wird durch eine Überschrift in Form eines Zitats gesteigert. Darüber hinaus taucht mehrmals der Name des Protagonisten Oliver auf, auch in der Bildunterschrift. Die ist entscheidend für die Einordnung der Fotografie durch als vermeintlich dokumentarische, den Text begleitende Abbildung. Dass es sich bei dem Bild um eine Szene nächtlicher Arbeit am Computer handelt – was tatsächlich auch das profitable Geschäftsmodell von Oliver darstellt – verstärk die dokumentarische Anmutung. Insofern ist es mehr als nachvollziehbar, sollten Leser*innen in der dargestellten Person Oliver erkennen.
Die das Bild vertreibende Agentur Getty Images ist dafür bekannt, sowohl Editorial Material, also auf reale Ereignisse bezogene Bilder, als auch Creative Material, also Stockfotografie mit Modellen zu vertreiben. Sehr schnell wird durch eine Recherche des Originalbildes in der Datenbank von Getty Images deutlich, dass es sich beim vorliegenden Bild um eine Stockfotografie handelt. Das Bild ist mit folgender Caption versehen: „Mann mit Laptop spät in die Nacht zu Hause arbeiten (sic) – Stock-Fotografie“. Der grammatikalisch falsche Satz er schließt sich vermutlich durch eine maschinengenerierte Übersetzung der englischen Caption „Man working with laptop late at night at home“. Entstanden ist das Bild in der Türkei mit Modellen, wie der Hinweis „Modell Release“ verrät. Es gibt weitere Bilder der Szenerie, sowohl im Quer- als auch im Hochformat, die sich durch leicht veränderte Bildausschnitte und Kamerapositionen auszeichnen und das Inszenierte der Situation zusätzlich deutlich machen.
Interessant ist es, die Visualisierung mit Hilfe einer Stockfotografie ohne Form der Kennzeichnung durch ZEIT ONLINE einmal mit etwas Abstand zu betrachten. Grundlage der Glaubwürdigkeit des Artikels ist der Fakt, dass hinter dem Pseudonym Oliver eine reale und keine fiktive Person steht, weshalb ZEIT Online darauf extra in einem Disclaimer hinweist. In der gleichen Logik des Realitätsbezugs funktioniert die Kontextualisierung des Bildes, obwohl auf dem Bild ein beliebiges Modell zu sehen ist. Zu Fragen ist also, warum an den Text andere Maßstäbe angelegt werden als an das Bild. Darüber hinaus erschließt sich nicht, wie Leser*innen mit dem Umstand umgehen sollen, dass bei ähnlichen Artikeln durchaus auch tatsächlich die realen Protagonist*innen eines Textes fotografiert werden und wie sie diese Unterschiede erkennen können. Damit wird deutlich, wie willkürlich hier von Seiten der ZEIT ONLINE Redaktion agiert wird und wie damit der journalistische Wert von Fotografien im Onlinejournalismus in Frage gestellt wird.
Text: Dr. Felix Koltermann