Mit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 startete der russische Präsident Wladimir Putin den ersten Angriffskrieg in Europa zwischen zwei souveränen Nationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die epochale Bedeutung dieses Ereignisses hob das Thema auf die Titelseite nahezu aller Tageszeitungen in Deutschland. Wie genau dies umgesetzt wurde, zeigt Dr. Felix Koltermann anhand von sechs niedersächsischen Lokalzeitungen sowie sechs überregionalen deutschen Tageszeitungen.
Kaum ein Politiker oder Analyst hatte damit gerechnet, dass der russische Präsident tatsächlich so weit gehen würde, der Ukraine den Krieg zu erklären und ins ukrainische Territorium einzumarschieren. So stand die Welt am 24. Februar 2022 angesichts der Nachrichten aus dem osteuropäischen Land am Schwarzen Meer unter Schock. War die Ukrainekrise auch in den Tagen und Wochen davor schon ein prominentes Medienthema, so katapultierten die aktuellen Entwicklungen den Konflikt in der Aufmerksamkeit ganz nach oben. Während Onlinemedien, Radio und Fernsehen ihre Berichterstattung bereits am Tag des Kriegsausbruchs an das Thema anpassten, wurde deutschlandweit das Thema zum Aufmacher der Tageszeitungen für den kommenden Tag (25. Februar 2022). In der folgenden Analyse geht es konkret um die Bildauswahl der sechs niedersächsischen Lokalzeitungen Braunschweiger Zeitung (BZ), Cellesche Zeitung (CZ), Peiner Allgemeine (PA), Neue Presse (NP), Hannoversche Allgemeine (HA), Hildesheimer Allgemeine Zeitung (HiAZ) sowie der sechs überregionalen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Welt, Süddeutsche Zeitung (SZ), der Tagesspiegel (TS), die Tageszeitung (taz) und der Frankfurter Rundschau (FR).
Mit Ausnahme der FAZ, die zwei Bilder nebeneinanderstellt, und der NP, die eine Montage auf zwei Bildern präsentiert, entschieden sich alle anderen Zeitungen für ein einzelnes Bild auf der oberen Hälfte der Titelseite. Einige Zeitungen wie die FR, die BZ und die NP fügten den Bildern oder der ganzen Titelseite einen schwarzen Rahmen hinzu. Andere Zeitungen platzierten auch weitere kleinere Bilder auf der unteren Seitenhälfte, die Süddeutsche Zeitung sogar drei. Gewählte Motive die sich am 25. Februar fanden, sind etwa Rauchwolken über der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Porträts von Menschen in Schutzräumen, Zivilist*innen in der Kriegsregion, Kriegsflüchtlinge sowie Einrückende russische Panzer. Die Bilder stammen sowohl von Nachrichtenagenturen (AFP, dpa, Kyodo, Getty) als auch freien Fotografen wie Evgeny Maloetka sowie Redaktionsfotografen. Was die sprachliche Rahmung des Ereignisses angeht, so titeln gleich fünf Tageszeitungen „Krieg in Europa“ (SZ, HAZ, HiAZ, BZ, taz) während die anderen Zeitungen die Begriffe Überfall oder Angriff nutzen.
Unter den für diese Analyse betrachteten Tageszeitungen finden sich drei Fotografien, die bei je zwei verschiedenen Tageszeitungen Verwendung fanden. Während dies in zwei Fällen, bei der Celleschen Zeitung und der Peiner Allgemeinen sowie der Hannoverschen Allgemeinen und der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, jeweils darauf zurückzuführen ist, dass der Mantelteil aus der gleichen Quelle stammt – bei der CZ und der PA das Redaktionsnetzwerk Deutschland, bei der HiAZ die HA – scheint dies im Fall von Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel Zufall zu sein. In allen drei Fällen ist zwar die Fotografie die Gleiche, es finden sich jedoch unterschiedliche Formen des Zuschnitts beziehungsweise der Kontextualisierung. Am auffälligsten ist dies bei der Fotografie von Aris Messinis von der Agentur AFP, für die sich FR und TS entschieden haben. Während die FR das Bild im Originalformat zeigt, entschied sich der Tagesspiegel für einen extremes Querformat und schnitt dafür das obere Drittel des Bildes ab, so dass es im Layout der Zeitung auf der oberen Seitenhälfte über fünf Spalten läuft.
Am stärksten heraus sticht die Titelseite der Neuen Presse. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die NP sich nicht für Fotografien aus der Ukraine entschieden hat, wie alle anderen untersuchten Blätter, sondern in ihren zwei Titelfotografien Szenen aus Hannover zeigt. Während das großformatige Bild auf der oberen Seitenhälfte eine Frau beim Beten in einer Hannoveraner Kirche zeigt, ist auf dem klein unten links ins Bild eingefügten Foto eine Mahnwache von Ukrainer*innen in Hannover zu sehen. Dahinter steht der Versuch, konsequent Lokaljournalismus zu betreiben und auch bei Themen, die klassischerweise der Auslandsberichterstattung zuzuordnen sind, nach lokalen Bezügen zu suchen. Der Fokus darauf, was der Krieg mit in Hannover lebenden Ukrainer*innen macht, findet sich auch in der Überschrift „Wir machen uns unglaubliche Sorgen“ wieder und wird im Aufmachertext, der auf die Situation der Protagonistin des Bildes eingeht, fortgesetzt.
Interessant, in Bezug auf die Quelle des Bildes, ist die Entscheidung der Süddeutschen Zeitung. Dort steht in der Bildquelle neben dem Fotografen Namen das Kürzel SNA. dahinter verbirgt sich Sputnik News Agency, eine staatliche russische Nachrichtenagentur, die zum Medienkomplex von Russia Today gehört. Insbesondere im Licht der Debatten um Propaganda und staatsnähe russischer Medien ist die Entscheidung interessant. Von der Zeitung selber wurde die Bildauswahl nicht weiter kommentiert. Zu vermuten ist, dass Bilder russischer Truppen nur über diese Kanäle verfügbar waren. Der Vertrieb der Bilder von SNA geschieht in Deutschland über Imago Images. Aus einem ganz anderen Grund sticht das Coverbild der Zeitung die Welt heraus. Es stellt eine Montage dar, da die großformatige Pressefotografie von Wolfgang Schwan von der Agentur Anadolu am rechten Rand von einer ukrainischen Flagge überlagert wird und ist auch als solche gekennzeichnet.
Insgesamt zeigen die untersuchten Titelseiten eine erstaunliche Breite, sowohl was die inhaltliche Ausrichtung als auch die Bildquellen angeht. So finden sich sowohl Fotografien aller großen Nachrichtenagenturen als auch Bilder freier Fotografen aus der Ukraine, wie auch Material von deutschen Redaktionsfotografen wie im Fall der Neuen Presse. Dies zeigt den großen Spielraum beim Blattmachen und der Gestaltung der Cover-Seiten auf. Der inhaltliche Fokus der Bilder liegt damit nachvollziehbarer Weise auf den Geschehnissen vor Ort und der Auswirkung des Krieges auf die Zivilist*innen und nicht auf Eliteperson wie etwa den verantwortlichen Politikern in Russland.
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