Mitte Mai 2021 eskalierte der Konflikt zwischen dem Staat Israel und der den palästinensischen Gazastreifen regierenden Hamas wie seit Jahren nicht mehr. Dabei nahmen die mehrere Tage andauernden gegenseitigen Angriffe quasi kriegsähnliche Zustände an. Dies hatte auch in Deutschland eine verstärkte Medienaufmerksamkeit zur Folge. Im Folgenden analysiert Dr. Felix Koltermann wie neun deutsche Tageszeitungen das Thema auf ihren Titelseiten platzierten und präsentierten.
Aufgrund der mit dem Holocaust verbundenen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel, genießen in den deutschen Medien Themen aus der Region eine besondere mediale Aufmerksamkeit. Dies gilt in besonderem Maße für den ungelösten Konflikt mit den Palästinenser*innen. Die spannungsgeladene Situation, die sich aus dem vor allem für die Palästinenser*innen unbefriedigten Status quo ergibt, entlädt sich immer wieder auch in militärischen Eskalationen, wie zuletzt Mitte Mai 2021. Große Teile Israels standen damals unter massivem Raketenbeschuß durch die den Gazastreifen regierende Hamas, während Israel den Gazastreifen mit massivem militärischem Angriffen überzog. Besonders dramatisch war die Situation innerhalb Israels, wo die Spannungen zwischen jüdischen Israelis und palästinensischen Araber*innen die Angst eines Bürgerkrieges aufkommen ließen.
Insgesamt zog sich die militärische Eskalation vom 10. bis zum 21. Mai 2021 über 12 Tage. Die stärkste Eskalation war in den ersten Tagen des Konfliktes zu beobachten, was dementsprechend auch zu einer stärkeren medialen Berichterstattung führte. Deutlich wurde dies an den Titelseiten deutscher Tageszeitungen, wie etwa am 14. Mai 2021, die unabhängig voneinander den Konflikt zwischen Israel und der Hamas als Aufmacherthema für ihre Cover wählten. Dies galt sowohl für überregionale Tageszeitungen wie die „Frankfurter Rundschau“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Welt“ oder die „taz“ als auch über das Land verteilte regionale Zeitungen wie den Berliner „Tagesspiegel“, den norddeutschen „Weser Kurier“, die niedersächsischen „Schaumburger Nachrichten“ oder die „Stuttgarter Zeitung“ aus Süddeutschland. Auch international setzten Tageszeitungen wie die amerikanische „The New York Times“ oder die britische „Financial Times“ das Thema auf ihre Titelseiten.
So ähnlich die inhaltliche Entscheidung der Priorisierung des Nahostkonflikts auf der einen Seite war, so unterschiedlich war im Detail die diesbezügliche Bildauswahl. Die ausgewählten Zeitungen weisen ein breites Spektrum unterschiedlicher visueller Repräsentationen der Eskalation zwischen Israel und der Hamas auf. Im Vordergrund der jeweiligen Seitenaufmacher standen dabei jeweils Coverfotos, die jedoch nur zu einem Teil mit einer Berichterstattung auf der Titelseite oder den ersten Zeitungsseiten korrespondierten. So entschieden sich etwa der „Weser Kurier“ und die „Stuttgarter Zeitung“ zwar das Thema auf der Titelseite anzuteasern, verwiesen damit aber auf Artikel und eine ausführliche Berichterstattung weiter hinten im Blatt. Als Bildmotive wählten die Zeitungsredaktionen israelische Artilleriestellungen, zerstörte Häuser und Ruinen im Gazastreifen, Grenzpolizist*innen in Jerusalem, Leuchtspuren des Iron Dome am Nachthimmel, propalästinensische Demonstrationen in Europa sowie trauernde Soldat*innen und Zivilist*innen. Andere zentrale Themen, die es am 14. Mai 2021 auf die Titelseite schafften waren vor allem der Fortschritt der Impfkampagne in Deutschland sowie lokale Themen. Im Folgenden werden drei Cover exemplarisch vorgestellt.
Die „taz“ versah ihre Ausgabe vom 14. Mai 2021 mit dem Titel „Sterben in Gaza. Sterben in Israel.“ Der Schriftzug ist dezent, die Titelseite mit viel Weißraum versehen. Das unter dem Schriftzug platzierte Bild zeigt einen jungen Mann und eine Gruppe trauernder Frauen mit Kopftuch. Die Szene trug sich zwei Tage vorher in der israelischen Stadt Lod zu, in der sehr viele Palästinenser*innen leben. Geschickt wird von der Redaktion über das Bild die Tatsache thematisiert, dass die Eskalation Leid auf allen Seiten produziert und Raketen der palästinensischen Hamas durchaus auch in Israel lebende Palästinenser*innen töten können, wie es im vom Bild dokumentierten Ereignis der Fall ist. Das Bild stammt vom israelischen Fotografen Ilia Yefimovich und wurde über die Agentur „dpa“ vertrieben.
Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ hingegen entschied sich in ihrer Ausgabe vom 14. Mai 2021 das Leid aufseiten Israels prominent ins Bild zu setzen. Dies korrespondiert mit der politischen Haltung des Axel-Springer-Verlags, die sich durch eine besondere Israelsolidarität auszeichnet. Auf dem zentral auf der oberen Seitenhälfte über drei Spalten laufendem Bild ist eine Gruppe junger israelischer Soldat*innen zu sehen, die im Ort Elyakim den Tod eines 21-jährigen Soldaten betrauern, der von einer Rakete der Palästinenser getötet wurde, so die Bildunterschrift. Das Bild stammt vom „AFP“ Fotografen Jack Guez. Unter dem Bild beginnt der Leitartikel, der mit „Empörung über antisemitische Aktionen“ überschrieben ist. Rechts daneben findet sich ein Kommentar mit dem Titel „Israel zwischen zwei Fronten: Eine verläuft durch Deutschland“.
Die interessanteste Titelseitengestaltung vom 14. Mai 2021 stammt von der „Stuttgarter Zeitung“. Dort findet sich direkt unter der Kopfzeile mit dem Logo und dem Datum der Zeitung ein extrem querformatiger Bildstreifen. In der Zeile darunter werden das Tagesthema, die Seite Drei und das Ressort Kultur angeteasert, bevor weitere Leitartikel folgen. Die Spalte am rechten Rand der Zeitung ist der Rubrik Kommentar vorbehalten. Das am 14. Mai 2021 von der Redaktion ausgewählte Bild zeigt auf der linken Bildhälfte eine Gruppe von drei Grenzpolizist*innen, die eine Gasse hinunter gehen. An welchem Ort genau, wird nicht klar. In der rechten Bildhälfte ist großflächig Text platziert, darunter die Überschrift „Eskalation im Nahen Osten: Am Rande eines Krieges“, gefolgt von einem kurzen Teaser und dem Hinweis auf einen Artikel auf Seite sechs. Der Bildstreifen ist eine Montage vermutlich in Form einer Anfügung des Bildes am rechten Bildrand, worauf der Zusatz Montage im Bildcredit verweist. Als Fotograf ist Jalaa Marey angegeben.
Auch wenn die neuen Tageszeitungen in ihrer Bildauswahl für die Titelseiten durchaus sehr unterschiedliche Akzente setzten, zeigt sich daran nur die Herausforderung, eine komplexe politisch-militärische Situation in ein oder maximal zwei Fotografien ins Bild zu setzen. Die einzelnen Lösungen sind für sich genommen alle durchaus valide visuelle Repräsentation des Geschehens in Israel und dem Gazastreifen. Jedoch erst durch eine Gegenüberstellung der verschiedenen Tageszeitungen – wie hier geschehen – wird deutlich, wie vielfältig die (bild-)redaktionellen Entscheidungen für die Titelseiten des 14. Mai 2021 waren.
Die einzelnen Titelseiten werden ausführlich auf dem Instagram-Kanal des Forschungsprojekts @bildredaktionsforschung vorgestellt. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der medialen Repräsentation des Nahostkonflikts sei etwa auf die Analyse des Gazakriegs 2008 /2009 von Dr. Felix Koltermann oder das von Prof. Dr. Carola Richter herausgegebene Buch „Der Nahostkonflikt in den Medien“ verwiesen.