Die Halbwertszeit von Onlinenachrichten ist extrem kurz, zu groß ist die tägliche Nachrichtenvielfalt. Gleichwohl braucht es für jeden Artikel ein aktuelles Bild. Aber was ist im Onlinejournalismus mit seiner schnellen Taktung noch ein aktuelles Bild? Dieser Frage geht Felix Koltermann in seiner neuen Bildkritik ausgehend von einem Newsbeitrag bei T-Online nach.
Seit Ende September ist die Eskalation in der Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan immer wieder Thema in den deutschen Abendnachrichten. Das Onlineportal T-Online veröffentlichte dazu am 7. Oktober um 11:29 einen kurzen Beitrag unter dem Titel „Hälfte der Bevölkerung Bergkarabachs auf der Flucht“, der auf Material der Nachrichtenagentur AFP fußte. Dazu wurde ein extrem weitwinklig aufgenommenes Bild publiziert, welches einen leeren, mit Trümmerteilen übersäten Straßenzug zeigt, während am Hintergrund eine schwarze Rauchsäule in den Himmel steigt. Als Bildquelle ist Eastnews/imago images angegeben. In der Bildunterzeile heißt es „Bergkarabach: Die Angriffe und Gegenangriffe im Streit um das Südkaukasus-Gebiet halten an“.
Nun ist es eine Sache, dass das Bild weder die in der Überschrift erwähnten Flüchtlingsströme zeigt, noch die auf die in der Dachzeile angesprochene Involvierung der Türkei in den Konflikt verweist. Und auch die Ursache der auf dem Bild prominent zu sehenden Rauchwolke erfährt man nicht. Für all das, ist die Bildunterschrift mit dem allgemeinen Verweis auf Angriffe und Gegenangriffe einfach zu unpräzise. Auch der Inhalt des Textes hilft da nicht weiter, ist es doch eher ein allgemeiner Abriss der aktuellen Lage zum Konflikt an diesem Mittwochmorgen Anfang Oktober. Um zu überprüfen, was es mit dem Bild auf sich hat, ist wie so oft eine Recherche in der Datenbank der Agentur nötig, die das Bild vertreibt.
Diese Recherche fördert zweierlei zutage. Zum einen wird deutlich, dass die von der Agentur gelieferten Bildinformationen auch nicht wirklich präziser sind. Die einzige Zusatzinformation ist, dass die Aufnahme aus Stepanakert stammt. Interessant ist jedoch vor allem ein anderer Fakt: das Datum der Erstellung der Fotografie. Da es schon am Tag des 4. Oktober aufgenommen wurde, stellt sich die Frage, ob es drei Tage später eigentlich noch als aktuell gelten kann. Bei der gedruckten Zeitung ist diese Frage relativ klar: als aktuell gelten eigentlich nur Bilder, die am Tag vor dem Erscheinen aufgenommen wurden. Aber was sind die Kriterien für Online, wo Nachrichten zum Teil fast in Echtzeit erscheinen und keine Deadlines für die Ruckausgabe ein Zeitpolster verschaffen? Eine Spanne von drei Tagen scheint in jedem Fall zu viel, ändern sich doch die Bedingungen in gewalthaltigen Konflikten im Eskalationsstadium oft sehr schnell.
Recherchiert man bei anderen Bildagenturen wie etwa Getty Images, Reuters oder Associated Press, so wird klar, dass das Bildangebot am 7. Oktober wie auch am Vortag zu Bergkarabach tatsächlich überschaubar war. Vor allem Fotografien, die als klassische Kriegsbilder auf Zerstörung und damit die Eskalation des Konfliktes verweisen, gab es nur wenige. Oft ist dies zu Beginn neu eskalierender Konflikte der Fall, wenn entweder noch keine Fotograf*innen vor Ort sind oder die Eskalation noch kein solches Ausmaß angenommen hat, dass ich sich die Folgen im Bild zeigen lassen könnten. Solch eine Bildknappheit ist eine Herausforderung für die (Bild-)Redaktionen, was vermutlich auch zur hier diskutierten Entscheidung bei T-Online geführt hat, ein etwas älteres Bild zu nehmen. Grundsätzlich ist dies kein Problem, aber es hätte dafür einfach einer kurzen Information in der Bildunterschrift bedurft, von wann genau das Bild stammt.