An sechs Tagen die Woche eine Zeitung herauszugeben und 24 Stunden am Tag einen Onlinekanal zu bespielen, ist eine große Herausforderung. Vor allem große Zeitungen beschäftigen dafür Hunderte Mitarbeiter und verfügen wie im Fall der „Neue Zürcher Zeitung“ auch über ein eigenes Bildressort, wo ein Großteil der bildredaktionellen Arbeit erledigt wird. Wie dies konkret vonstattengeht, darüber berichtet Felix Koltermann ausgehend von seinem Ortsbesuch bei der Schweizer Tageszeitung.
Die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) befindet sich in einem Gründerzeithaus hinter der Züricher Oper, nur unweit des Zürichsees. An einem Donnerstagmorgen Anfang Oktober 2020 bin ich dort mit Gilles Steinmann, dem Leiter der Bildredaktion verabredet. Er hat mich eingeladen, einen Tag lang die Arbeit der Bildredaktion zu begleiten. Auch wenn wegen der Coronapandemie ein Großteil der Belegschaft aus dem Home-Office arbeitet, ein einmaliges Angebot um einen Einblick in den Redaktionsalltag zu bekommen. Durch ein gekacheltes Treppenhaus geht es in den zweiten Stock, wo sich mit dem Newsroom das Herzstück der NZZ-Redaktion befindet. Einen Stock darunter liegen die separaten Redaktionsräume der NZZ am Sonntag. Im dritten Stock wird gerade gebaut, werden neue Großraumbüros und eine Cafeteria geschaffen.
Der Newsroom, einfach gesprochen ein Großraumbüro, bezeichnet im Fachjargon eine neue Art der Redaktionsorganisation, die von einzelnen Ressorts Abstand nimmt. An der Wand im NZZ-Newsroom befinden sich mehrere große Monitore: links laufen Grafiken, die den aktuellen Stand der Zugriffe auf die Webseite und die Perfomance einzelner Artikel zeigen, rechts ist immer die aktuelle Startseite zu sehen. Daneben hängen Uhren mit der Zeit in den wichtigsten Weltregionen. Im Inneren des Newsrooms sitzen Vertreter*innen aller Ressorts – auch der Bildredaktion – und koordinieren bzw. produzieren die aktuellen Artikel für den Onlineauftritt. Außen herum sind die Schreibtische anderer Bereiche wie der Produktion oder der Bildredaktion gruppiert. Einzelbüros sind vor allem den Leitungsfunktionen vorbehalten.
Koordination Redaktion
Zeitungsproduktion – im Print wie Offline – so wird über den Tag schnell klar, findet heute so gut wie ausschließlich am Rechner statt. Einhundert bis einhundertdreißig Artikel am Tag publiziert die NZZ online, so Gilles Steinmann im Gespräch, ca. sechzig davon kommen in die Printausgabe. Die meisten der für die Produktion notwendigen Softwareanwendungen sind Browser-basiert, laufen also in einem Webbrowser wie etwa Firefox über einen zentralen Server. Die NZZ arbeitet vor allem mit drei Anwendungen: Livingdocs, Desk-Net und Slack. Während Livingdocs die Plattform ist, in der Artikel geschrieben, publiziert und Bilder dazu gefügt werden, wird über Desk-Net die Redaktionsarbeit koordiniert und den Redakteur*innen einzelne Aufgaben zugewiesen. Slack ist eine Art professionelles Whatsapp, also ein interner Chat für die Redaktion. Dort haben auch die verschiedenen Teams der Bildredaktion eigene Chatgruppen.
Die Tagesplanung der gesamten Redaktion geschieht morgens um halb 10 in der Newsroomsitzung, die ich an diesem Tag leider verpasse. Dort ist immer auch ein*e Bildredakteur*in anwesend, erklärt mir Gilles Steinmann im Nachhinein. Was die einzelnen Ressorts publizieren, liegt aber grundsätzlich in deren Händen, konkret in denen der jeweiligen Planungsredaktion. Mit der Entscheidung, welche Themen die Aufmacher des Tages werden, fällt auch die Entscheidung darüber, welches Thema im Print bebildert wird. Konkret festgehalten wird dies für die weitere Tagesproduktion in Desk-Net. Seit 2019 heißt die Strategie bei der NZZ „Online First“ was bedeutet, dass die Artikel zuerst auf der Webseite der Zeitung erscheinen und ein Teil davon dann – zum Teil in überarbeiteter Form – in die Printausgabe wandert.
Die Organisation der Bildredaktion
Im Zuge der Umstellung auf „Online First“ wurde im Jahr 2019 auch die Bildredaktion der NZZ umstrukturiert und mit der Produktionsredaktion Web zusammengelegt, erzählt Gilles Steinmann. Heute besteht die Bildredaktion aus 12 Personen, inklusive Gilles Steinmann als Leiter und Reto Althaus als Art-Director. Die Arbeitsteilung muss man sich so vorstellen, dass Gilles Steinmann vor allem die Fotografie im Blick hat, während Reto Althaus für das komplette visuelle Erscheinungsbild verantwortlich zeichnet. Denn visuelle Inhalte für die Zeitung kommen auch vom externen Karikaturisten Peter Gut sowie dem Team Visuals, das Karten, Infografiken und multimediale Inhalte produziert. Steinmann und Althaus sind im regelmässigen Austausch mit dem Fotograf*innenteam der NZZ.
Die Bildredaktion ist pro Tag mit fünf Personen besetzt, die in verschiedenen Schichten zwischen 8 und 19 Uhr arbeiten und unterschiedliche Aufgabenbereiche übernehmen. Dazu gehört etwa die Betreuung der Startseite oder der Rubrik Bilder des Tages, aber auch die Vorbereitung der Wochenendausgabe. Darüber hinaus übernehmen einzelne Bildredakteur*innen die visuelle Betreuung bestimmter Ressorts, meist 2-3 pro Person. Da montags wie selbstverständlich eine Printausgabe erscheint, ist die erste Wochenschicht am Sonntag. Nur samstags ist die Bildredaktion in der Regel nicht besetzt.
Bildrecherche und Bildauswahl
Um zu verstehen, wie die Bildrecherche funktioniert, schaue ich einer Bildredakteurin während ihrer Schicht eine Zeitlang über die Schulter. Das wichtigste Tool für die Arbeit ist die interne Plattform Hugo. In dieser Bilddatenbank laufen alle wichtigen Bildangebote ein. Im Abonnement können die Bildredakteur*innen der NZZ auf die Bilder von Associated Press, European Press Photo Agency, Getty Images, Imago, Keystone und Reuters zugreifen. Dazu kommen die Bilder des Fotograf*innenteams der NZZ, das aus vier Personen besteht. Für welche Artikel Bilder recherchiert werden müssen, sieht die Redakteurin auf Desk-Net.
Zuerst werden immer die Onlineartikel bebildert, danach geht es um die Printausgabe. Ausgangspunkt einer Recherche sind immer die Texte. Die Autor*innen schreiben direkt in Livingdocs, so dass die Bildredakteur*innen früh über den Inhalt Bescheid wissen. Manchmal hilft auch ein kurzes Telefonat mit den Textredakteur*innen weiter, bevor es an das Recherchieren geht, etwa um abzuklären, ob bei einem Interview ein*e Fotograf*in dabei war. Die Recherche geschieht über eine Schlagwortsuche. Per Drag&Drop lassen sich die Bilder dann sehr einfach in Livingdocs einbauen. So kann direkt überprüft werden, ob eine Bild-Text-Kombination passt. Auch der Zuschnitt geschieht direkt im Programm. Nur die Bildunterschriften werden später von der Produktionsredaktion ergänzt. Zur Bebilderung der Printausgabe wird auf das mit dem Onlinartikel schon publizierte Material zurückgegriffen. Die Aufbereitung erfolgt dann im Layoutprogramm InDesign.
Die groben Leitlinien dessen, was das fotografische Erscheinungsbild der NZZ ausmacht, hat Gilles Steinmann als Leiter der Bildredaktion vorgegeben. Für ihn läuft dies unter den Stichworten Plakativität, Subtilität und Abstraktivität. Sichtbar wird dies vor allem in der Printausgabe, wo ein weiterer Faktor hinzukommt: die Reduktion auf bewusst platzierte Einzelbilder. Die Bilder sind meist eher flächig, funktionieren oft über ihr graphisches Erscheinungsbild und haben eine gewisse Distanz zum Geschehen. Ein No-Go sind Stockfotografien, darüber hinaus gibt es jedoch zumindest kein schriftlich fixiertes Regelwerk. In einer täglichen Blattkritik der Bildredaktion, bei der die Produkte des Vortags kritisch angeschaut werden, gibt es Raum darüber zu diskutieren. Am Tag meines Besuchs in der Redaktion wurde ich gebeten, die Blattkritik zu übernehmen.
Ausblick
Klar wird an diesem Tag, wie komplex die Routinen sind, die hinter jedem einzelnen Online- und Printartikel stehen und wie viele einzelne Arbeitsschritte dafür zu erledigen sind, die zum Teil nur wenige Minuten oder gar Sekunden dauern. Vieles was passiert, sind routinierte Alltagshandlungen, was angesichts der Fülle an Artikeln und der riesigen Bildauswahl kaum verwunderlich ist. Und doch wird immer wieder versucht, Freiräume zu suchen, neue Bildideen umzusetzen und die Bedeutung der Fotografie im Blatt hochzuhalten. Etwa in dem in der Wochenendausgabe regelmäßig eine mehrseitige Bild-Text-Reportage abgedruckt wird, oder Online ein Artikel mit mehr als nur einem Aufmacher bebildert wird. Die große Herausforderung liegt dabei sowohl beim „Online First“, was schnelles und präzises Arbeiten erforderlich macht, immer schon mit der Printoption im Kopf, als auch beim Visualisierungszwang, der mit sich bringt, dass eben auch die Redakteur*innen aus den anderen Ressorts Online-Artikel bebildern.
In der Rubrik Blattkritik auf dieser Webseite wird demnächst auch eine detaillierte Besprechung einer Printausgabe der NZZ International erscheinen. Weiteres zur Geschichte der NZZ erzählt das Buch „225 Jahre «Neue Zürcher Zeitung»“, das die Universitätsbibliothek Heidelberg auch kostenlos zum Download anbietet. Einen tollen Einblick in die Bild- und Textreportagen der Zeitung gibt der vom Bildredakteur Christian Güntlisberger herausgegebene und bei NZZ Libro erschienene Band „Denkpausen: Dreissig Reportagen aus drei Jahrzehnten“. Und wie die NZZ sich selbst sieht, zeigt ein Promotionvideo zur Neuakquise von Abonnent*innen.