Bildkritik 10 „taz“ vom 21.10.2020

Wenn im Lokaljournalismus Bilder aus der Region gezeigt werden, so kennen die Menschen meist die Orte. Aber was heißt das für die Präzision der Kontextualisierung und die Frage nach Aktualität? Wie es nicht gehen sollte, diskutiert Felix Koltermann an einem Beispiel aus den Berlinseiten der Tageszeitung „taz“.

Screenshot taz-Webseite vom 21.10.2020 / Foto Kai Nietfeld dpa

Am Mittwoch den 21. Oktober veröffentlichte die „taz“ den Artikel „Warten auf dem Abstrich-Strich“. Darin schildert die taz.Berlin-Redakteurin Susanne Mermarnia ihre Erfahrungen beim Versuch sich in Berlin-Neukölln auf Corona testen zu lassen, nachdem die Corona-Warn-App ihr ein erhöhtes Risiko mitteilte. Visualisiert wurde der Text mit einer Fotografie des dpa-Fotografen Kai Nietfeld. Als Bildunterschrift war in der Onlineversion zu lesen „Eine Coronatestabstrichwarteschlange vor einer Arztpraxis in Berlin-Neukölln“. Das Bild zeigt eine Reihe von Menschen, die sich auf einem Bürgersteig vom linken Bildrand quer durch das Bild zieht. Die meisten Gesichter sind wegen der Masken kaum zu erkennen, einige Menschen haben Klemmbretter in der Hand. Während der Text zeitlich klar zwischen der App-Warnung am Samstag und verschiedenen Anläufen einer Arztsuche am darauffolgenden Montag und Dienstag kontextualisiert ist, bleibt unklar, wann das Bild entstanden ist.

Um dies herauszufinden hilft zuerst die Platzierung des Bildes in der Google Bildersuche. Dort wird eine ganze Reihe von Treffern angezeigt, die quer durch die deutsche Medienlandschaft von der Deutschen Welle bis zum Tagesspiegel reichen und von denen die frühestens auf den 8. Oktober datiert sind. Damit wird klar, dass das von der taz verwendete Bild mindestens zwei Wochen alt ist. Klarheit bringt letztlich die Recherche des  Originaleintrags in der Datenbank der Agentur dpa. Dort ist als Entstehungsdatum der 8.10.2020 festgehalten und als Bildinformation folgendes zu lesen: „Menschen mit Nasen- und Mundschutz stehen in einer langen Schlange vor einer Arztpraxis im Bezirk Neukölln für einen Corona-Test an“. Wie so oft hätte es zur präzisen Kontextualisierung ausgereicht, in der Bildunterzeile entweder die Einfügung Symbolbild vorzunehmen oder das genaue Datum einzuführen.

Eine präzise zeitliche Zuordnung ist deswegen wichtig, weil die Pandemie-Situation sehr dynamisch ist und sich die Bedingungen von Tag zu Tag und Woche zu Woche ändern können. Gerade im Lokalbereich gibt es die Möglichkeit, dass die Leser*innen ihre persönlichen Erfahrungen mit den veröffentlichten Bildern abgleichen. Ein weiterer Aspekt sind grundsätzliche Fragen zum visuellen journalistischen Umgang mit der Pandemie. Denn klar ist, selten wurde von Konsument*innen so genau auf das geschaut, was „die Medien“ veröffentlichen. Damit einher geht auch, dass die Themen und vor allem Bilder Einfluss auf die Stimmung und durchaus Einfluss auf das Verhalten der Menschen haben. Deswegen ist es nicht nur wichtig, das die Informationen präzise sind sondern auch dass die Bilder exakt und richtig kontextualisiert sind. Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass die Corona-Test-Situation am Tag vor der Veröffentlichung des taz-Artikels besser war, so ist dies aber grundsätzlich möglich. Deswegen ist ein zwei Wochen altes Bild fahrlässig.